"Cottbuser Neuankommenden empfehle ich vor allem Offenheit und Neugier"
Name: Svitlana Bychkova
Geburtsjahr, -ort: 1988 | Mariupol (Ukraine)
Berufliches Zuhause: Bauingenieurin
Hobbies: Freunde treffen, Veranstaltungen besuchen und neue Menschen kennenlernen, Spaziergänge am Meer
Status: Zugezogene
Svitlana Bychkova ist 2022 aus Mariupol (Ukraine) geflüchtet und hat sich ohne Sprachkenntnisse in Cottbus ein neues Leben aufgebaut. Diese Erfahrungen teilt sie mit vielen – und dennoch ist ihr Engagement beim Ankommen in der neuen Heimat beispiellos. Wer und was der studierten Bauingenieurin auf Ihrem bewegenden Weg nach Cottbus geholfen hat, welche Tipps sie Zuziehenden mitgeben kann und wofür sie besonders dankbar ist, erzählt sie im BOOMTOWN Interview.
Wie und wann hat Ihr Weg nach Cottbus begonnen?
2011 habe ich mein Bauingenieurstudium in der Region Donezk abgeschlossen und mehrere Jahre in meinem Beruf gearbeitet. Ich war voller Lebensfreude. Aber 2014 musste ich wegen des Krieges in der Ostukraine zu meiner Familie in meine Heimatstadt Mariupol fliehen. Dort lebte und arbeitete ich bis 2022, dann eskalierte der Krieg, Mariupol wurde bombardiert, schwer zerstört und von Russland besetzt. Wir mussten erneut fliehen. Wir hatten keine Heizung, keinen Strom, kein Gas, kein fließendes Wasser und kein Mobilfunknetz mehr. Ich habe meine Wohnung, mein Auto und mein gesamtes Leben zum zweiten Mal verloren. Wir mussten im Treppenhaus wohnen und das Essen auf offenem Feuer kochen. Es war bitterkalt, damals etwa minus 15 Grad. Ich war wie gelähmt – aber ich musste Entscheidungen treffen, um meine Familie zu schützen. Der erste Schritt war, überhaupt aus Mariupol herauszukommen. Es gab keine offiziellen Evakuierungen. Wir fanden einen privaten Fahrer, der uns gegen viel Geld ein Stück aus der Stadt brachte. Erst danach erhielten wir offizielle Hilfe und fuhren mit rund 30 Bussen Richtung Saporischschja (Ukraine). Die Fahrt war lang und nervenaufreibend, mit vielen Kontrollen. In Saporischschja warteten Freunde von mir und ich konnte endlich mit meiner Cousine telefonieren. Meine Cousine Lena wohnt schon seit 20 Jahren in der Region um Cottbus, daher kannte ich die Stadt aus Erzählungen. Sie sagte mir, dass es in Cottbus Unterstützung für Ukrainer:innen gibt, also entschied ich, mit meiner Familie nach Cottbus zu gehen. Zwei Wochen später waren wir in Deutschland und haben unser neues Leben begonnen.
Können Sie sich noch an Ihre ersten Wochen in Cottbus erinnern?
Das Erste, was ich von Cottbus gesehen habe, war der Bunte Bahnhof. Anfangs wohnten wir, gemeinsam mit vielen anderen Geflüchteten, gegenüber vom LEAG Energie Stadion in der Messehalle von Cottbus. Die erste Zeit war sehr schwer für mich. Ich habe viel geweint. Über meine Cousine habe ich zwei ihrer Freundinnen, Anja und Christine, kennengelernt. Sie haben mir unglaublich geholfen und unterstützt. Für immer trage ich sie in meinem Herzen. Endlich konnte ich wieder leben und lachen. Heute sind sie für mich meine Familie. Gemeinsam haben wir sogar eine Operation für meine Mutter organisiert, das werde ich ihnen nie vergessen.
Das Welcome Center Cottbus hilft Menschen aus dem In- und Ausland beim Ankommen in Cottbus. In welcher Form hat Sie das Welcome Center beim Ankommen unterstützt?
Ich habe ein halbes Jahr einen Integrationskurs besucht und dort Deutsch gelernt. Nach vier Monaten habe ich mich schon für die erste Prüfung angemeldet, diese aber nicht bestanden und auch bei der zweiten Prüfung bin ich durchgefallen. Für mich war dasvöllig neu, denn normalerweise konnte ich mit Prüfungssituationen immer gut umgehen. In dieser Zeit lernte ich das Welcome Center Cottbus kennen. Dort hat man mir vom Sprachcafé erzählt und mich ermutigt, ein Praktikum zu machen. Am Ende hatte ich drei Praktika bei verschiedenen Arbeitgebern und habe in der Zwischenzeit selbstständig die B1- und später auch die B2-Prüfung abgelegt. Im April 2024 hat das Welcome Center Cottbus eine Lerngruppe für Ingenieur:innen gegründet, an der ich seitdem regelmäßig teilnehme. Die Teilnahme ist kostenlos, freiwillig und sehr hilfreich für alle Teilnehmenden, die die Fachsprache und die Arbeitsprinzipien im Ingenieurwesen in Deutschland besser verstehen möchten.
Was bedeutet das Welcome Center für Sie persönlich?
Ohne das Welcome Center wäre vieles nicht möglich gewesen. Dort habe ich nicht nur die Hilfe beim Erlernen der Sprache und Finden der Praktikumsplätze erhalten, sondern auch bei der Anerkennung meines Ingenieurabschlusses. Seit Januar ist mein Diplom offiziell anerkannt und ich konnte ein festes Arbeitsverhältnis eingehen. Bei allen Schritten war das Welcome Center eine wichtige Unterstützung für mich. Noch jetzt bin ich jeden Mittwoch im Welcome Center und treffe mich da zu einer Art Stammtisch speziell für Ingenieur:innen. In dem Kurs entscheiden wir gemeinsam, was wir lernen wollen. Wir sprechen über Bewerbungen, berufliche Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern, deutsche Regeln und Gesetze und lernen gemeinsam Fachvokabeln. Es ist immer eine bunte Mischung und ich mag den Austausch sehr.
Was würden Sie anderen Neuankommenden in Cottbus mit auf den Weg geben?
Ich kann empfehlen offen zu sein, nach draußen zu gehen und verschiedene Leute kennenzulernen. Dabei bekommt man die besten Tipps, die das Ankommen in einer neuen Stadt erleichtern. Ich bin in meiner Freizeit viel in Cottbus unterwegs, besuche Straßenfeste und Veranstaltungen und vernetze mich mit Menschen. Auch wer die Sprache noch nicht gut beherrscht, profitiert von der täglichen Alltagskommunikation. Durch meine Praktika musste ich immer viel Deutsch sprechen. Ich hatte viele liebe Kolleg:innen um mich herum, die mir geholfen haben, wenn ich mal etwas nicht richtig verstanden habe. Im Alltag viel Deutsch zu sprechen ist wichtiger als jeder Sprachkurs. Nehmt außerdem alle Unterstützungsangebote an, die es gibt. In Cottbus gibt es viele großartige Menschen, die sich für euch einsetzen.
Wie sieht Ihr Leben heute, 3,5 Jahre nach Ihrem Ankommen, aus?
Meine Familie wohnt in der schönen Stadt Cottbus, die für uns wie ein zweites Zuhause geworden ist. Hier haben wir auch eine deutsche Familie, die uns sehr ans Herz gewachsen ist und für uns große Bedeutung hat.
In Cottbus habe ich meinen Partner Viktor kennengelernt, mit dem ich nun seit drei Jahren glücklich zusammen bin. Obwohl er, genau wie ich, aus der Ukraine kommt, konnten wir uns erst hier begegnen – als wäre es Schicksal. Beruflich bin ich einem wunderbaren Unternehmen als Projektbearbeiterin tätig. Mein großartiges Team unterstützt mich stets und gibt mir die Möglichkeit, mich im Bereich Bauwesen kontinuierlich weiterentwickeln. Das alles ist nicht selbstverständlich. Ich bin heute ein glücklicher Mensch. Dafür bin ich unendlich dankbar. Ich möchte mich von ganzem Herzen bei Deutschland und den Menschen hier bedanken, die uns geholfen haben, ein neues Leben aufzubauen.
Haben Sie einen Lieblingsort in Cottbus? Welchen Ort sollten sich Neuankömmlinge unbedingt anschauen?
Ich liebe den Weg entlang der Spree, an der Käthe-Kollwitz-Brücke und der Spree-Meile entlang. Die Bäume und das Wasser geben mir Ruhe. Dort kann ich durchatmen und meinen Kopf freibekommen.
Wir bedanken uns für das Gespräch. Das Interview führte Lisa Krauz.
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Erfahre mehr über das Welcome Center und die Angebote beim Tag der offenen Tür am 25.09.2025, 11-18 Uhr, Berliner Straße 157, 03046 Cottbus.